Dr. Wernfried Maltusch, geb. 1926 in Sauo als Sohn von Fritz Maltusch und seiner ersten Frau Anna sowie Enkel von Wilhelm und Auguste Radochla, war nach seiner Teilnahme am 2. Weltkrieg in den Anfangsjahren der DDR in FDJ- und SED-Positionen aufgerückt. Nach dem Scheitern der Politkariere fand er, inzwischen mit absolviertem Philosophiestudium und einer Promotion, sein berufliches Arbeitsfeld beim Rundfunk der DDR, den er als stellv. Generalindendant nach 1989 mithalf abzuwickeln. In seinem biographischen Buch schildert er vor allem seine Zeit beim Rundfunk, geht aber auch ausführlich auf seine Weg dorthin ein. Auf einigen Seiten erzählt er über Begebenheiten im Dorf Sauo und über dessen Bewohner:

Wernfried Maltusch
Etikettenschwindel: Macht Macher Medien.
Berlin, Anita Tykve Verlag, 2000,
ISBN 3-925434-95-X.

Die Abbildungen stammen aus den Privatarchiven von Wernfried Maltusch
und von Rolf Radochla. Sie sind im Buch nicht enthalten.

[...] Für mich war der Niedergang und der Zusammenbruch des Hitler-Reiches Erlösung. Diese Einstellung hatte sich bei mir seit Jahren herausgebildet und hing mit meinem Lebensweg im Kindes- und Jugendalter zusammen. Er wurde von Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen und durch die Großfamilie meiner Mutter beeinflußt. Kann man sagen, individuelles politisches Bewußtsein beginnt dort, wo man das objektiv Politische wahrnimmt? Wenn das so ist, dann muß sich mein politisches Bewußtsein sehr früh herausgebildet haben. Meine Großmutter mütterlicherseits, die 16 Kinder zur Welt gebracht hatte und in ihrem 97. Lebensjahr verstarb, wählte vor 1933 gemeinsam mit meiner Mutter Sozialdemokraten oder Kommunisten. Das rührte u.a. daher, daß sie den Betriebsrat der Grube Marie III von den Anhaltischen Kohlewerken (AKW),
Grube Marie III, Fabrik u.Baracken
Zernick (KPD), und den Bürgermeister von Sauo, ihrem Wohnort, in dem auch ich geboren wurde, Gündel (SPD), sehr gut kannten. Hinzu kam die soziale Abkunft meiner Großmutter und die Tatsache, daß sie zwar die Frau eines Fleischermeisters war, aber allein durch die vielen Kinder in dem Status einer halbproletarischen Familie lebte. Der Ort Sauo war mit der Jahrhundertwende von einem Bauerndorf zu einer Industriegemeinde geworden, in der die Kuhställe zu Wohnungen für Grubenarbeiter ausgebaut und im oberen Dorf Baracken für die zugezogenen polnischen Familien errichtet wurden. Eines Tages, es muß 1932 gewesen sein, spielte ich an der hinteren Steintreppe des Wohnhauses meiner Großeltern mit einer schwarz-weiß-gefleckten Katze namens Hung vi. Meine Großmutter kam aus dem Laden und sprach mit meiner Mutter, die neben der Treppe Wäsche wusch. Das Gespräch drehte sich darum, wen man denn nun wählen sollte. Thälmann sei doch mit der Gewerkschaftskasse durchgebrannt. Was solle man denn nun bloß tun? Beide Frauen schauten sich ratlos an. Und vielleicht war es diese Situation, die ich zum ersten Mal zwischen den beiden mir liebsten Menschen erlebte, die mir diesen Sachverhalt Zeit meines Lebens nicht vergessen machte! Es blieb beim Aufmerken zu einem politischen Fakt, mochte er nun auch in der Weise nicht gestimmt haben, wie er gegenüber meiner Großmutter kolportiert worden war. Die Ratlosigkeit der beiden Frauen bezog sich jedenfalls auf die für sie wichtige Frage, wen sie denn nun wählen sollten. Für meinen Großvater war das kein Problem. Er war ein konservativer Mann. Und die vielen Brüder meiner Mutter teilten das politische Spektrum der Hauptparteien der Weimarer Republik: zwei waren Sozialdemokraten, einer Deutsch-National, einer, der zweitjüngste Bruder, war Hitlerjunge, andere waren parteilos und sympathisierten mal mit dem und mal mit jenem. Meine Großmutter und meine Mutter waren „links eingestellt". Wenn ich mir das Schicksal meiner Großmutter vor Augen halte, dann war das auch kein Wunder. Sie und meine Mutter, die Älteste unter den Kindern, waren die Hausarbeitstiere der Familie. Meine Großmutter ging meistens etwa gegen 1.00 Uhr nachts schlafen und stand morgens gegen 5.00 Uhr wieder auf.

Zum Leben der Familie gehörte, politische Ereignisse zu debattieren. Nur mein Großvater äußerte sich nicht, jedenfalls hat er das in meiner Gegenwart nie getan. Auch ein anderes politisches Ereignis prägte sich mir fest ein. Arthur Gündel, der Bürgermeister von Sauo, hatte am 1. Mai 1933 die Schwarz-Rot-Goldene-Fahne vor dem Bürgermeisteramt gehißt. Da wir in unmittelbarer Nähe davon wohnten und ich an einem Sandberg, der vor dem Amt lagerte, spielte, sah ich das. Es verging keine lange Zeit, da kamen zwei SA Leute auf einem Motorrad angefahren. Einen davon kannte ich. Es war Ernst Lettner, der Sohn des preußisch-konservativen Rektors der Schule von Sauo. Sie stiegen ab, holten die Fahne herunter, zogen die Hakenkreuzfahne hoch, ließen etwas Benzin auf die Schwarz-Rot-Goldene-Fahne laufen und verbrannten sie dann. Einige Zeit später (im Mai 1933) war ich wiederum Zeuge, als Gündel von SA Leuten, die ihn traten und schubsten, abgeholt wurde. Mich berührte das wiederum persönlich, weil meine Mutter und Gündels in guter Nachbarschaft verkehrten und ich nicht nur einmal auf dem Schoß von Arthur Gündel gesessen hatte. In der Familie meiner Großeltern wurde der „Rücktritt" v. Blombergs als Kriegsminister lebhaft diskutiert. Die noch zu Haus lebenden Brüder meiner Mutter versuchten, spätabends bzw. in der Nacht Radio Moskau zu empfangen, um irgendwelche Informationen zu bekommen. Eine ähnliche Situation gab es zuvor mit dem Spanienkrieg. Und mit ihm - das kann ich bestimmt sagen - begann ich, mich mit politischen Ereignissen zu beschäftigen. Das geschah - entsprechend dem politisch-geistigen Klima in der Familie meiner Großeltern - in kritischer Distanz. Jeden Tag kam Frau Kühne, die Frau des Schneidermeisters im Ort, und brachte den „Senftenberger Anzeiger". Ich erinnere mich, daß es mich sehr aufregte, daß Ibiza durch den Panzerkreuzer „Deutschland" beschossen worden war und ich mich fragte, weshalb deutsche Kriegsschiffe das in Spanien tun. Von diesem Zeitpunkt an verfolgte ich politische Ereignisse. So die Auseinandersetzungen um den „Anschluß Österreichs" zwischen Hitler und Schuschnigg. Einige Brüder meiner Mutter hörten bis spät in die Nacht hinein im Schlafzimmer meiner Großmutter, wo ich ebenfalls seit dem Tod meines Großvaters schlief, dazu Sendungen aus Prag, Wien und bemühten sich, Radio Moskau zu empfangen. [...]


Auguste Radochla .................................................Radochlas Fleischerei in Sauo .............................................Wilhelm Radochla
[...] Mein Großvater verstarb 1937. Er war nur 61 Jahre alt geworden. Sein Tod brachte große Belastungen für die Familie, denn die auf dem Haus liegenden Hypotheken waren nicht gering. Sie waren ein Resultat der Inflation, nach der meinen Großeltern mit den vielen Kindern nur das Grundstück mit Haus blieb. Um das Geschäft, die Fleischerei, aufrechtzuerhalten, mußten Schulden gemacht werden. Erst mein Onkel Friedrich, der als einziger der Kinder bei meiner Großmutter geblieben war, bezahlte diese Schulden nach 1945 ab. Die Lage meiner Großmutter, die die Fleischerei weiterführte, war schwierig. Hinzu kamen seelische Belastungen durch die Auseinandersetzungen in der Familie, weil sich meine Mutter scheiden ließ. Jedenfalls intensivierten sich die Kontakte zur Kirche. Da ich ab Januar 1938 ständig bei meiner Großmutter blieb und auch im Bett meines Großvaters schlief, war meine Beziehung zu meiner Großmutter ganz innig. Wir gingen gemeinsam zur Kirche und sprachen manchen Abend über Mensch und Gott. Ich glaube nicht, daß meine Großmutter sehr religiös war. Aber sie hatte eine tiefe humanistische Beziehung zur Lebenswirklichkeit. So hörte ich von ihr nie ein böses Wort zu ihren Kindern oder auch nur über andere Menschen. Auch hörte ich nie einen Streit zwischen Großmutter und Großvater, obwohl meine Mutter mir in späteren Jahren erzählte, daß meine Großmutter sie bereits an der Hand hatte, um mit ihr vom Vater wegzugehen, der in jungen Jahren rücksichtslos zu seiner Frau gewesen sei. Großmutters Humanismusumfaßte auch die Solidarität mit Arbeiterfamilien, die auf diese oder jene Weise in Bedrängnis geraten waren. Und so manches Stück Fleisch und Wurst wurde unbezahlt über den Ladentisch gereicht. Selbstverständlich war es für sie, die Beziehungen zu Zernicks (KPD) und zu Gündels (SPD) in der Nazizeit aufrechtzuerhalten. Als der Rechtsanwalt Reyersbach in Senftenberg während des Pogroms im November 1938 erschlagen wurde, empörte sie das zutiefst. Ihre Leiden und Denkweisen sublimierten sich zu diesem Zeitpunkt im religiösen Denken, und ich nahm Anteil daran. Als ich dann nach Cottbus übersiedelte, schloß ich mich dem Pfarrbereich Oberkirche an...

[...]Jedoch als wirkliche Heimat empfand ich den Süden, d.h. das Senftenberger Gebiet mit seinen Braunkohle-Tagebauen und den ländlichen Mischdörfern von Bauern und Grubenarbeitern. Aus dieser Region stammten die Vorfahren meiner Mutter. Ihr Mädchenname Radochla gibt Aufschluß darüber, daß auch ihre Familie wendischen Ursprungs ist. Im Altslawischen bedeutet ja doch" etwa "lustiger Mensch" und das ja" ist eine Form des Verniedlichens: man könnte also "lustiges Menschlein" sagen. Aber es gab einen bedeutungsvollen Unterschied zum Sippe meines Vaters. Im Senftenberger Raum war die Assimilierung der Wenden mit den Deutschen bereits im 19. Jahrhundert, vor allem in dessen zweiter Hälfte durch die Entstehung der Braunkohlenindustrie und der mit ihr verbundenen anderen Industrien soweit vorangeschritten, so daß bereits die Großeltern meiner Mutter nur noch deutsch sprachen. Mein Großvater wurde in Klettwitz geboren, wurde Fleischermeister, zog nach seiner Heirat 1900 nach Sauo und eröffnete dort seine Fleischerei, die 1943 auf Betreiben des Nazi-Bürgermeisters geschlossen werden mußte. Der Ortsname Sauo ist ein deutsches Verballhornen des slawischen Namens des Ortes Sowa = Eule. 1880 waren unter den 300 Sauoern nur noch 15, die wendisch sprachen.

Anfangs der zwanziger Jahre kam mein Vater nach Sauo. Hier lernte er meine Mutter kennen. Er arbeitete bei den Anhaltischen Kohlewerken (AKW). Der ursprünglich rein bäuerliche Ort wurde durch die Kohleaufschlüsse grundlegend verändert. Die ehemals großbäuerlichen Gehöfte wurden zu Wohnungen für die Bergarbeiter ausgebaut. Viele Familien kamen aus Polen. Sie wohnten zum großen Teil in Baracken. Als ich Ostern 1933 eingeschult wurde, trug etwa die Hälfte meiner Mitschüler Familiennamen polnischen Ursprungs, häufig auch Vornamen wie Wladislaus, Frantisek usw. Sauo, das um die Jahrhundertwende etwa 440 Seelen zählte, wuchs zu einer Gemeinde von 1443 Einwohnern. Meine Spielgefährten waren Kinder von deutschen bzw. eingebürgerten polnischen Bergarbeitern. Im politischen Spektrum fand man Kommunisten, vor allem linke Sozialdemokraten, Nazis, Deutsch-Nationale und Preussisch-Konservative. Zu den letzteren gehörte lange Jahre auch mein Vater. Ich glaube, er kompensierte damit auch Komplexe, die sich aus seiner Umgebung speisten, so im herabwürdigenden "Wenscher Pinak". Darin sehe ich auch die hauptsächliche Ursache dafür, daß er sich mehr und mehr freitags, wenn es Lohn gab, betrank und häufig in seiner Trunkenheit meine Mutter und uns Kinder schlug. Meine Mutter wandte sich von ihm ab. Mit Rücksicht auf ihre Familie, besonders wegen ihres im Ort angesehenen Vaters, hielt sich meine Mutter zurück, versuchte, durch Aushilfen und Vertriebsarbeit die Familienkasse aufzubessern. Aber als mein Großvater 1937 starb, gab es für meine Mutter nur noch eines, sich scheiden zu lassen. Sie suchte den Rechtsanwalt Dr. Salomon in Senftenberg auf, der Entsprechendes in die Wege leiten sollte. Den Nazi-Hoheitsträgern, die seit 1933 im Ort herrschten, verschlug' s die Sprache. Da wagte es doch eine Frau, ihren Mann zu verlassen und ausgerechnet einen jüdischen Rechtsanwalt damit zu beauftragen, die Scheidung einzureichen. Das widersprach nicht nur ganz und gar ihren Vorstellungen, sondern das war ein Affront! Da ich nach der Trennung meiner Eltern noch ein Jahr bei meiner Großmutter lebte, bekam ich die Fernwirkungen von Naziäußerungen auf Geschwister meiner Mutter mit. Mit einem Mal waren Nazis Freunde meines Vaters.

Als meine Mutter 1939 in Cottbus eine Arbeit in der Verwaltung bekam, intervenierten die Sauoer Nazis und meine Mutter wurde wieder entlassen. Mein Vater, der nun meine Mutter haßte, setzte alles in Bewegung, um ihr zu schaden. Jahrelang währte der Kampf zwischen beiden um das Sorgerecht für die Kinder. Er endete damit, daß mein Bruder Fritz meinem Vater und ich meiner Mutter zugesprochen wurde. Die räumliche Trennung von meinem Bruder war die schwerwiegendste Folge der Scheidung meiner Eltern. Mein Bruder hat sie nie verkraftet. Er meldete sich 1942 freiwillig zu den Panzersoldaten und fiel in der Panzerschlacht im Kursker-Bogen 1943. Seine Briefe an mich bezeugen, daß er tief verzweifelt darüber war, diesen Schritt getan zu haben. Er haderte mit unserem Schicksal... In Sauo traten mein Bruder und ich 1933 der "Evangelischen Kinderschar" bei, die später von den Nazis aufgelöst wurde. Zur ersten Zusammenkunft nahm ich meinen Klassenkameraden und Freund Paul Dubski mit, der zwar von 'Haus aus katholisch war, aber aus Freundschaft mit mir dorthin ging. Dubskis waren unsere Nachbarn und völlig assimiliert. Die Kinder sprachen nur deutsch. Pauls Bruder Hans war ein Jahr älter als mein Bruder. Er ist ebenfalls gefallen.

Anna und Fritz Maltusch
Unter den Freunden der Kinderzeit, die ich nach dem Krieg in Sauo wiedersah, war auch Paul. Durch ihn erfuhr ich, daß sein Vater im Auftrag des polnischen Konsulats in Senftenberg die einstmals für Deutschland optierten polnischen Familien in Sauo und Umgebung nun dazu bewegen wolle, daß sie wieder polnische Staatsbürger werden. Dubski warb für die Umsiedlung jenseits der Oder-Neisse-Linie und er selbst hatte für seine Familie den Weg nach dorthin bereits beschlossen. Paul war letztlich im Zweifel, ob diese Entscheidung richtig ist. Er kam nach einiger Zeit wieder nach Deutschland, d.h. in die Senftenberger Region zurück (später auch seine Eltern und anderen Geschwister). Die Abwanderung selbst war zu jener Zeit ein beachtliches Thema in den politischen Diskussionen. In den Augen vieler meiner Bekannten und Freunde und selbst bei erwachsenen Kindern potentieller Abwanderer war der Vorgang unmoralisch. Nicht die Tatsache, daß Leute Deutschland verließen bzw. verlassen wollten, wurde als unmoralisch kritisiert, sondern daß hier für die Besiedelung ehemals deutscher Gebiete, aus denen die Deutschen oft unter barbarischen Bedingungen hinausgeworfen worden waren, jene Familien geworben wurden, die sich mit Herz und Verstand mit den Deutschen assimiliert hatten, deutsches Staatsbürgertum lebten und nun als "Sieger" gelten wollten, indem sie sich faktisch Eigentum Deutscher jenseits von Oder und Neisse aneigneten.

Im September 1946 wurde ich von Günter Bachmann, er war ein Schulkamerad, zu einer Versammlung der FDJ nach Sauo eingeladen. Ich traf hier viele Bekannte, aber zugleich auf stark gelichtete Reihen: Viele Familien waren zwischen 1936 und 1939 in das Mitteldeutsche Braunkohlenrevier und nach Greifenhain abgewandert, die männlichen Jahrgänge unterhalb von 1927 waren durch den Krieg stark dezimiert und mancher Heimkehrer war sofort nach Westdeutschland gegangen. Und wie überall -in Deutschland waren die jungen Mädchen und Frauen in der Überzahl. Teilnehmerin an dieser Versammlung war auch Hilde Thamm. Sie ist ein Jahr jünger als ich.

Thamms kannte ich von frühester Kindheit an. Wir wohnten gemeinsam in den Sauoer-(umgangssprachlich: Sauschen) Gemeindehäusern. Hilde ist die jüngere von drei Kindern. Mit ihnen waren mein Bruder und ich täglich zusammen. In der Jungen-Clique der Gemeindehäuser war ich der Jüngste, Thamms Bruno, die Brüder Fritsche und der vierzehnjährige Herbert Luhn, die Älteren. Eines Tages im Sommer spielten wir an der Kippe am Weg nach Senftenberg II. In der Spielpause hatte ich mich vor Herbert Luhn hingekniet. Da nahm er mich am Kopf und steckte seinen nicht erigierten Schwanz in meinen Mund. Ich schrie. Die anderen Jungen lachten. Herbert ließ von mir ab, und ich drohte ihm, es seiner und meiner Mutter zu erzählen. Daraufhin gab er mir Erdnüsse und erwiderte, wenn ich etwas sage, dann würde er mich nach "Strich und Faden verkloppen". Ich erzählte natürlich nichts zu Haus, schon aus Angst davor, von der Clique ausgeschlossen zu werden, denn für mich als Sechsjährigen bedeutete es viel, mit Älteren zusammensein zu dürfen. Eine ähnliche Geschichte passierte mir einige Wochen später. Wir spielten Räuber und Gendarm. Einer von den vierzehnjährigen Fritsches Zwillingen versteckte sich mit mir in einem mit Brettern überdachten Loch. Als wir nun dort eine Weile verharrten, begann er, sich selbstzubefriedigen. Er forderte mich auf, daß ich das für ihn tun solle. Das lehnte ich entschieden ab, so daß er es selbst bis zum Höhepunkt trieb. Als meine Eltern 1933 ein Haus im unteren Dorf in unmittelbarer Nähe des Anwesens meiner Großeltern kauften und wir nach dorthin verzogen, schloß ich mich der dortigen Jungen-Clique an. Hier liefen später ähnliche Sachen ab, wie ich sie bereits erlebt hatte, nur daß ich dann schon älter und nicht mehr Objekt der Gelüste anderer war.

Von der Gemeindehaus-Clique waren nur Thamms Bruno und ich aus dem Krieg lebend zurückgekehrt. Von Brunos Wiederkunft erfuhr ich durch Hilde. Wir hatten uns nach der Versammlung getroffen. Als wir nun zusammensaßen und uns über das Gemeinsame in unserer Vergangenheit unterhielten, wurde uns warm ums Herz. Zum Abschied küßten wir uns und ich versprach, sie bei ihren Eltern zu besuchen. Was dann auch alsbald geschah. Da sie im Gemeindebüro beim wieder amtierenden Bürgermeister Arthur Gündel arbeitete, konnten wir uns, wenn die Telefonverbindung klappte, was sie meistens nicht tat, ab und zu sprechen.

Damals war der Weg von Calau nach Sauo weit. Als ich an einem Novemberabend zu Fuß von Senftenberg aus auf dem Weg zu Hilde war, wurde ich auf der Höhe von Rauno von einem Sowjetsoldaten überfallen. Er nahm mir mein Geld ab. Mit Hildes Hilfe konnte ich vom Gemeindebüro aus den für politische Angelegenheiten zuständigen Oberleutnant Fjorderow in Calau anrufen und ihn informieren. Eine in Senftenberg stationierte Militärpatrouille wurde alarmiert. Zunächst erreichte sie nichts. Später klärte sie in Zusammenarbeit mit der Senftenberger Polizei die Überfälle auf, denn ich war nicht der einzig Betroffene. Ein junger Mann aus Rauno hatte, als Sowjetsoldat verkleidet, diese Straftaten verübt. [...]